Metamorphose und Krise
Pflanzen und Bäume sind im Altgriechischen in aller Regel weiblich – dies folgt der Vorstellung, dass Naturgöttinnen – Nymphen – symbiotisch in und mit den Pflanzen existieren. Zugrunde liegt die Annahme einer prinzipiell beseelten Natur. Somit sind auch Pflanzen beseelte Wesen und erscheinen geradezu vermenschlicht. Begründungen hierfür liefert der Mythos: Pflanzen seien vormals Menschen gewesen, die in Folge lebensgefährlicher Situationen zu Pflanzen mutierten. Die in der umgebenden Natur wahrnehmbaren Verwandlungen sind somit Resultate ursprünglich krisenhafter Momente. Von diesen Ursprüngen der sichtbaren Welt erzählen die griechischen Mythen. Immer trägt dabei die Metamorphose (also das Übergehen in eine neue mōrphé, „Form“) zur Überwindung einer Krise bei, die erst durch An-Verwandlung oder Weg-Verwandlung gemeistert werden kann. Der Mensch in der Krise begegnet dieser durch kreative Um-Formung. Insofern braucht jede Metamorphose geradezu das Momentum (also „die Bewegung, Dynamik“) einer Krisensituation. Die altgriechische Flora im Ganzen zeugt daher von dynamischen Bewältigungsprozessen. Denn erst die Krise bietet die Möglichkeit einer neu gedachten, einer verwandelten Welt.
Markus Hafner, Sommer 2020
Metamorphose und Krise – Alpha bis Omega (A-Ω) der griechischen Pflanzenwelt
1 A α ἡ ἄμπηλος (ámpēlos): der Weinstock
2 B β ὁ Βάκχος (Bákchos): der Weingott
3 Γ γ ἡ γῆ/Γαῖα (gē/Gaīa): die nährende/Leben spendende (Mutter) Erde
4 Δ δ ἡ δρῦς (drȳs): die Eiche
5 Ε ε ἡ ἐλαία (elaía): der Olivenbaum
6 Ζ ζ ἡ ζυγία (zygía): der Ahornbaum
7 Η η τὸ ἡλιοτρόπιον (hēliotrópion): das Sonnenwend-Gewächs
8 Θ θ ἡ θρίδαξ (thrídax): der wilde Salat
9 Ι ι ἡ ἰτέα (itéa): die Weide
10 Κ κ ἡ κυπάρισσος (kypárissos): die Zypresse
11 Λ λ ὁ λωτός (lōtós): der Lotus
12 Μ μ τὸ μῶλυ (mōly): das Moly-Kraut
13 Ν ν ἡ νάρκισσος (nárkissos): die Narzisse
14 Ξ ξ ἡ ξηρά (xērá): die Wüste
15 Ο ο ἡ ὄγχνη (ónchnē): der Birnbaum
16 Π π ἡ πίτυς (pítys): die Pinie
17 Ρ ρ ἡ ῥόα (rhóa): der Granatapfelbaum
18 Σ σ ς ἡ συκέα (sȳkéa): der Feigenbaum
19 Τ τ ἡ τάξος (táxos): die Eibe
20 Υ υ ἡ ὑάκινθος (hyákinthos): die Hyazinthe
21 Φ φ ἡ φιλύρα (philýra): die Linde
22 Χ χ ἡ χλόη (chlóē): frischer Spross, frisches Gras, erstes Korn
23 Ψ ψ ἡ ψαλάκανθα (psalákantha): sagenhafte Pflanze
24 Ω ω ἡ ὥρα (hōra): das Blühen, die Jahreszeit (des Frühjahrs)