Sabine Jörg

Für Reinhild Gerum: Coronaalphabet, Januar2021

Texte aus dem Decamerone von Boccaccio

In Florenz wütet die Pest – doch 7 Frauen und 3 Männer entziehen sich ihr…

A, Anfang

Dieser schreckensreiche Anfang soll euch nicht anders sein wie den Wanderern ein steiler und rauher Berg.

B, Brust

Mit solchem Schrecken hatte dieses Elend die Brust der Männer wie der Frauen erfüllt, dass ein Bruder den anderen im Stich ließ, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann.

C, Chorhemd

Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und Mäntelchen angetan, die Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den Leichnam mit Gesang zu holen.

D, denken

Denken wir, unsere Seele sei mit stärkeren Banden an den Körper geknüpft als die der übrigen?

E, Elend

Es schmerzt mich, so lange bei solch großem Elend zu verweilen.

F, Frühlingsanfang

Etwa zu Frühlingsanfang des genannten Jahres begann die Krankheit schrecklich und erstaunlich ihre verheerenden Wirkungen zu zeigen.

G, Gruben

So machte man sehr tiefe Gruben und warf die neu Hinzukommenden in diese zu Hunderten.

H, Heilung

Dabei schien es, als ob zur Heilung dieses Übels kein ärztlicher Rat und die Kraft keiner Arznei wirksam oder förderlich wäre.

I, Ich

Was kann ich Stärkeres sagen, als dass über hunderttausend Menschen in Florenz dem Leben entrissen wurden.

J, Jahre

Das Pestübel, Jahre früher in den Morgenlanden begonnen, drang, ohne anzuhalten, jammerbringend nach dem Abendlande vor.

K, kümmern

Es war so weit gekommen, dass man sich nicht mehr darum kümmerte, wenn Menschen starben. Gar manche verließen dieses Leben ohne die Gegenwart eines einzigen Zeugen.

L, Lust

Und wie der Schmerz sich an das Übermaß der Lust anreiht, so wird auch der Schmerz von der hinzutretenden Freude beschlossen.

M, Musikinstrumente

Die Mädchen ließen Laute und Geige herbeibringen und sie begannen auf ihren Musikinstrumenten zu spielen.

N, neunmal

Panfilo fuhr fort: Ich erzähle euch die Geschichte, wie durch ihre Schönheit eine junge Frau innerhalb von vier Jahren neunmal Hochzeit feiern musste…

O, ob

Ob die eine oder andere eher aus Verlangen nach ebenso vielen Hochzeiten seufzte als aus Mitleid?

P, Pampinea

Pampinea sagte unbefangen und fröhlich: Vertreiben wir uns diese Stunden mit Geschichtenerzählen, da die ganze Gesellschaft sich daran ergötzen kann.

Q, Quelle

Sie plätscherten barfüßig und mit nackten Armen in der Quelle, trieben allerlei Scherze und erwarteten eine neue Geschichte zu hören.  

R, Rat 

Nun, Rinaldo, warum so nachdenklich? Sind die Pferde und die paar Kleidungsstücke, die ihr eingebüßt habt, so unersetzlich?

S, Streich

Ich denke euch einen Streich zu erzählen, den eine schöne Frau einem gestrengen Mönch wirklich gespielt hat.

T, Torheit

Die Torheit des Bernabo hatte so viel zu lachen gegeben, dass allen davon die Kinnladen weh taten.

U, Und

Und wieviel wohlschmeckender waren die Küsse des Geliebten als des Gemahlen.

V, vielleicht

Ihr habt vielleicht noch nicht gehört, wie man den Teufel in die Hölle heimschickt. So will ich es euch erzählen.

W, warten

W, warten

Worauf warten, wovon träumen wir? Warum sind wir saumselig und träge?

Z, Zeit

Zur gehörigen Zeit aber werde ich erzählen, wie Menschen nach allerlei Kämpfen und wider alles Hoffen doch zu einem fröhlichen Ende gediehen sind.

Bäume fußen in der Erde und streben in den Himmel. Sie schenken uns Sauerstoff, Schatten, Früchte. Dies sind vielleicht einige der vielen Gründe, warum Menschen Bäume, den Wald überhaupt, besingen, lieben, mit Gedichten ehren. Die Vielgestaltigkeit der Bäume ist schließlich auch Sinnbild für das Leben, für das Keimen, Wachsen und Vergehen.

Mit der Kamera bin ich Bäumen, ihren Rinden, jeweils sehr nahe, habe den Blick fokussiert auf Farben und Strukturen, die Erstaunliches enthüllen: eine unglaubliche Bandbreite an „Gemälden“ nämlich, expressionistische, zeitgenössische, Bilder von praller Lebensfreude, enigmatische Bilder, Bilder vom Leben, Lieben und Leiden auch des Menschen.

In Coronazeiten nehme ich Boccaccio zur Hand, lese von der Pest, die in Florenz wütet, und von den jungen Leuten, die sich dem Leid durch das Erzählen von Geschichten entziehen. Geschichten erzählen, wunderbare Besinnung auf das einfachste direkteste menschliche Miteinander, ein Mit-Teilen von Erfahrung, von Erdachtem und Tradiertem. In Anlehnung an die Übersetzung von Karl Witte finden kurze Ausschnitte aus dem mittelalterlichen Dekameron und aktuelle Bilder aus meiner Kamera zusammen.

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